Klaus Schuster "In meinen Augen ist die Repräsentation nicht die Antwort auf die Frage, egal ob politisch, ethisch oder epistemologisch gemeint, sondern genau die Form, in der die Frage gestellt und durchgearbeitet (wird)." (W.J.T.Mitchell) Ich habe bereits an anderer Stelle die Möglichkeit gehabt, die Arbeiten von Klaus Schuster zum Ausgangspunkt zu nehmen, um - wiederum mit Mitchell formuliert - um die Frage zu kreisen: "Was wollen Bilder?" - Und dabei mit Bedacht nicht von Fotografie zu sprechen, sondern von Repräsentation und visuellen Kulturen.1 Denn wen sollte die alte Frage nach Bildern und Wirklichkeiten noch interessieren, wenn nicht im Zusammenhang mit einem Denken über visuelle Praktiken als eine die Gegenwart überziehende epidemische Kulturtechnik, als "ein über verschiedene Orte verstreuter, namenloser Körper von Praktiken", der an zahllosen Schnittstellen mit dem Subjekt, der Gesellschaft und der Kultur verzahnt ist, ohne jedoch ein - ideologisches oder technologisches - "Zentrum" aufzuweisen. Auch Fotografie ist, wie andere kulturelle Praktiken, nicht mehr als Diskurs im engeren Sinn zu bezeichnen, sondern eher als "Mannigfaltigkeit" im weitesten Sinn, auch auf die Gefahr hin, wieder einmal Gilles Deleuze strapazieren zu müssen, als "Gemenge" von Wirklichkeitskonstruktionen, als Kaleidoskop einer Vielzahl von Repräsentationsformen, die Wirklichkeiten sowohl zerstreuen als auch einfassen. Diese Perspektiven sind aber längst nicht mehr nur als Repräsentationen von Blicken aufzufassen, eines Sehens als Ausgangspunkt für die visuelle Aneignung und Vermittlung, sondern als "funktionale Orte" im Rahmen einer visuellen Kultur - Orte, die zunehmend von Technologie bzw. auf bestimmten Technologien basierenden visuellen Techniken eingenommen werden. Im Zusammenhang mit der Serie der "Locations" habe ich vorgeschlagen, dass diese zwar nicht mehr aus Wirklichkeitsfragmenten aufgebaut zu sein scheint, sehr wohl aber aus visuellen Fragmenten, die nicht weniger wirklich sind: jene der kollektiven Erinnerung, die selbst schon vollständig durch massenmediale Bildproduktionen überformt zu sein scheint.1 Man fühlt sich ständig an das Diktum Vilém Flussers erinnert, dass wir nurmehr in Funktion der technischen Bilder leben und, wie ergänzt werden muss, erinnern. Die "Locations" von Klaus Schuster scheinen wie fremdartige Standbilder aus dieser massenmedialen Bildmaschine des Imaginären entnommen, wie die animierten Loops seiner Videoarbeiten uns in eine repetitive Suggestion von Fragmenten bewegter Bilder aus diesem seltsamen Universum der technischen Bilder zu verstricken scheinen. Mit dem einen Unterschied, dass sie ihre Konstruiertheit und Künstlichkeit erst gar nicht verbergen. Diese offensiv zur Schau getragene Künstlichkeit gilt umso mehr für die Reihe der aktuellen Arbeiten, die Klaus Schuster unter dem Titel "Selbstorganisation" zusammengefasst hat - wobei offen bleibt, ob sich dieser Begriff auf ein "Lebensmodell" des Künstlers bezieht, auf sozio-kulturelle Prozesse im allgemeinen, oder sozusagen die Bildkonstruktion aus der Perspektive der Bilder selbst beschreibt, so, als kämen sie aus einem nicht näher definierten "Jenseits" der digitalen Apparate, so, als würden sie zunächst deren Imaginäres repräsentieren. Der Titel weist jedoch in dieser Offenheit auf die drängende Frage nach einer zeitgenössischen Bildlichkeit und deren prekären, grenzgängerischen Status im Rahmen von sich zerstreuenden Diskursen über Wirklichkeiten - im besonderen Maße deshalb, weil gerade Fotografie (und die Arbeiten scheinen deutlich Fotografie zu simulieren) als Medium und Diskursformation durch eine Überlagerung von Technologie (einer Technizität von Kultur insgesamt), Wissen und Kunst konstituiert ist. Die "Signatur der Bilder", wie es Philippe Dubois1 bezeichnet hat, verweist somit nicht mehr primär auf etwas Prä-Existierendes, sondern auf prozessuale Aspekte der Bildherstellung selbst, was einem allgemeinen Übergang vom Sehen zur Visualisierung2 entspricht. Wir befinden uns mit der Serie "Selbstorganisation" mitten in einer Inszenierung der Welt als bildimmanentem und zugleich technologieimmanentem Prozeß: Bilder einer Welt, die dieser Welt nicht mehr bedürfen. Eine Flagge, ein "Kepi", ein Blatt Papier - scheinbar beliebige Gegenstände, wahllos herausgegriffen und ihn beklemmender Isolation und Künstlichkeit zum Bildmotiv erhoben; dennoch lassen sich gerade diese Gegenstände als Kristallisationspunkte kultureller Praktiken, als Kristallisationspunkte gesellschaftlicher Organisationsformen beschreiben. Das Blatt Papier als Ausgangspunkt für Schriftlichkeit und damit für Literatur, Philosopie oder Wissenschaft; die Flagge als Symbol nationaler - wenn nicht nationalistischer - Organisationsform von Staatlichkeit, und das "Kepi" als Symbol militärischer Macht, einer Militarisierung der Kultur. Unter dieser Perspektive weckt die "Kette" Assoziationen zu Mode, Lifestyle und einer um sich greifenden "Schönheitsindustrie" und der "Wohnwagen" weist auf Phantasmen von Mobilität, Individualität und Freizeit. Dadurch erhält der Begriff der "Selbstorganisation" eine neue Dimension, er verweist auf Dynamiken kultureller Entwicklungen, für die manches Mal bestimmte Gegenstände einen unübersehbaren Ausgangspunkt zu bilden scheinen, wie das gerade auch für den fotografischen Apparat der Fall ist: "Ihre [der Camera Obscura] unangefochtene Souveränität als Metapher des Sehens hielt sich über fast zwei Jahrhunderte; dem rationalistischen und empirischen Denken bot sie ein Modell für die aus Beobachtung gezogene wahre Schlußfolgerung über die Welt."1 Doch gerade gegen dieses rationalistische Modell einer aus Beobachtung gezogenen "wahren" Schlußfolgerung über diese Welt scheinen sich die Arbeiten Klaus Schusters immer wieder zu wenden - paradoxerweise mit einem zumindest ebenso rationalistischen Modell digitaler Bilderzeugung. Es wäre ein leichtes gewesen, diese Gegenstände im Atelier oder wo auch immer zu fotografieren. Es geht also darum, gerade von dieser Koppelung an Wirklichkeiten Abschied zu nehmen, d. h. die Repräsentation nicht länger vorzufinden, sondern sowohl deren Auswahl als auch deren Gestaltung selbst zu organisieren. Diese "Selbstorganisation" weist auf den Begriff der Emergenz und Immersion, auf den "Übergang von Medien, die 'einrahmen', zu solchen, die Immersion bewirken". (Druckrey, Simulation, 154) Eine Konsequenz aus diesem Übergang ist die Entstehung eines "zweideutigen Bildes", wie es Timothy Druckrey nennt. "Legitimiert von den Wahrnehmungsmodellen der Fotografie und des Fernsehens und von den errechneten Algorithmen der Wahrnehmung schwankt das elektronische [und auch das digitale, Anm. d. V.] zwischen Wirklichkeit und Hypothese".2 Dieses Schwanken zwischen Hypothese und Wirklichkeit scheinen die Bilder von Klaus Schuster sozusagen auf einen möglichen Punkt zu bringen. Paradoxerweise eröffnen diese "zweideutigen Bilder" zwischen Hypothese und Wirklichkeit kein Mehr an Sichtbarkeit: einerseits vollständig transparent verschließen sie, was an "wirklichen" Räumen oder Gegenständen noch wahrnehmbar wäre und überblenden sich schliesslich jedem "authentischen" Bild (was immer das sein könnte). Sie scheinen von einer drastisch formulierten Idee eines "künstlichen Realen" geradezu versiegelt zu sein. Niemals jedoch gelingt diese Ersetzung, Verdeckung oder Versiegelung vollständig - die Brüche und Spannungen verschiedener Bildkonzepte ziehen sich quer durch die gesamte Bildkonzeption (ästhetisch erfahrbar etwa in den Gegensätzen zwischen den Simulationen des Organischen und der sterilen Materialität der Objekte, Hintergründe und Böden (wie in "Fell", aber auch in "Nachbar"). Die Simulation des Wirklichen wird an jenem Punkt sozusagen angehalten, an dem die Künstlichkeit des Bildes wahrnehmbar bleibt. An diesem Punkt behalten die Bilder jenen "zweideutigen" Status als hypothetisches Modell von Repräsentation, die jene Repräsentation als die eingangs erwähnte Form deutlich werden lässt, in der eine Befragung von Bildlichkeit durchgeführt wird. Der Titel - der die Bilder als kulturelle Texte immer auch kommentiert und ergänzt - hat also eine Reihe von möglichen Assoziationen, er verweist auch auf eine Art kontingente Erfahrung, auf die Erfahrung von Kontingenz, indem keine zusammenhängende "Geschichte" erzählt, keine Dokumentation entwickelt wird, sondern indem (visuelle) Bruchstücke aus Erinnerungen und Assoziationen inszeniert und fragmentarisch aneinandergereiht werden. Zumindest die Arbeit "Haus Luthergasse" und "Nachbar" scheinen einen sozusagen autobiografischen Hintergrund zu besitzen - doch auch dabei stellt sich heraus, dass das Elternhaus aus der Erinnerung rekonstruiert wurde, und die Garage, der Garten und die Terasse alles sind, was an Eindrücken von den Nachbarn zurückgeblieben ist, aus welchen Gründen auch immer. "One Hotel" wiederum "erinnert" das Hotel, das Alighiero Boetti in den 70er Jahren in Kabul betrieben hat - ein Verweis auf aktuelle geopolitische Konflikte, auf die schliesslich auch das "Megaphon" deutet, das nach wie vor für politische Agitation und öffentlichen Protest Verwendung findet, auch im Kabul der Gegenwart. Den Bildern ist also trotz aller Reduktion und Zweideutigkeit ein symbolhaftes Moment eingeschrieben. "Fotografien sind Texte, die, wie man sagen könnte, in einem 'fotografischen Diskurs' niedergeschrieben sind, aber dieser Diskurs knüpft, wie jeder andere auch, an weitere Diskurse an; der 'fotografische Text' ist Ort einer komplexen 'Intertextualität', der Überschneidung einer ganzen Reihe vorangegangener Texte (...)." Damit ist explizit ausgesprochen, dass "die Vorstellung von einem 'rein visuellen' Bild eine bloße Fiktion ist."1 Und wenn das "rein visuelle Bild" eine Fiktion ist, dann gilt das auch für jene digitalen, "selbstorgansierten" Bilder Klaus Schusters. Intertextualität ist keine Frage der Technik, sondern nach gesellschaftlichen Signifikationssystemen. Woher aber stammen diese "zweideutigen" Bilder nun "wirklich"? Und führt uns diese Frage zurück zu Fragestellungen nach gegenwärtigen Repräsentationsverhältnissen? "Wir können auch anerkennen, dass der Raum der elektronischen Bilder ein Raum der Erinnerung und der phantasmatischen Vorwegnahme ist (...) und folglich ein Raum der immer möglichen Paranoia." Und weiter Victor Burgin: "Phänomenologisch ist das allgegenwärtige spekuläre Feld der zeitgenössischen Medien fragmentarisch und heterogen: ein Kontinuum von sich beständig verändernden kaleidoskopischen Bildmustern, die unausgesetzt das 'kollektive Vorbewußte' prägen und unausgesetzt mit individuellen unbewußten Projektionen ausgekleidet werden. Mit ihren räumlichen und zeitlichen Verdichtungen und Verschiebungen, ihren Selbstzitaten und schnellen und zufälligen Veränderungen von idealen, weltlichen und gewaltsamen Bildern ähnelt diese imaginäre Umgebung zunehmend den inneren Räumen der nach außen gekehrten subjektiven Phantasie und ist in zunehmenden Maße strukturiert wie unsere Träume, unsere Phantasie oder sogar wie der 'Körper in Teilen' im halluzinatorischen psychischen Raum der Schizophrenie." Zum mindesten scheinen also die Bilder der Serie "Selbstorganisation" von einer Art - hypothetischer - Symbiose zwischen Subjekt und Apparat bestimmt zu sein. Dies gilt umsomehr für die Videoarbeiten, die zumeist in Loops von 30 bis 40 Sekunden die immergleiche Szene wiedeholen. Es ist jedoch ein zutiefst apparativer bzw. technoligischer "Blick", der diese Szenen der Künstlichkeit erfasst bzw. geradezu scannt. Darüberhinaus sind alle Szenen menschenleer, was im Falle von "Ohne Titel" (2002) - einer "Kamerafahrt" entlang einer Siedlung, die sich als Montage der immer gleichen zwei Häusermodelle entpuppt - den Eindruck gespenstischer Leere noch unterstreicht. In "Dampfbad" (2002) entsteht eine Art Bewegung allein durch die Modulationen der Luftfeuchtgkeit sowie durch eine seltsam schwankende "Kamera", wie sie auch in "location 2001.v2" (2001) oder "location 2001.v1" (2001) auftaucht. Diese gleitenden Perspektiven ergeben sich aus unmöglichen Standpunkten (an denen eigentlich eine Wand oder Wasser sein müsste, folgten die Räume irgendeiner Logik realer Raumverhältnisse). Diese unmöglichen Standpunkte als Ausgangspunkte für die beschriebene zweideutige Visualität entpuppen sich als jene "funktionale Orte" im Rahmen einer visuellen Kultur - Orte, die zunehmend von Technologie bzw. auf bestimmten Technologien basierenden visuellen Techniken eingenommen werden. Ihre Funktion zeigt sich in einer Ent-Subjektivierung von Visualität und Repräsentation, in einer spezifischen Immersion, die das Bild allein als Konstruktion einer verfahrensinternen Logik herausstellt. Bei Klaus Schuster gesellen sich zu dieser immanenten Technizität jedoch Momente eines subjektiven Imaginären, das sich selbst schon wieder auf Eindrücke eines medialen Visuellen zu gründen scheint. Dadurch erleiden die Bildformationen Klaus Schusters jene "Störung", eine Verschiebung und Uneindeutigkeit, die sie von vielen Arbeiten abhebt, die das digitale Bild als Spielwiese für selbstverliebte Simulationen oder artifizielle Absonderlichkeiten einsetzen. Die Arbeiten Klaus Schusters dokumentieren vielmehr den sich ständig verändernden "Zusammenhang von abgebildetem Gegenstand, verwendeter Technik und kontextuellem Wissen"1. Die Verschiebung, die den Zusammenhang dieser Parameter erfasst hat und erfasst hält, lässt sich nicht mehr durch den Bildbegriff allein rekonstruieren. Diese Repräsentationen geben klar zu erkennen, dass ihnen immer auch eine Art Entwurfscharakter eingeschrieben bleibt, und dass sie über diesen hypothetischen Charakter Einblick geben in den Prozess der Bildherstellung selbst, eine "Selbstorganisation" als "komplexes Wechselspiel von Visualität, Apparat, Institutionen, Diskurs, Körpern und Figurativität." "Das Bild wird zu eine Objekt des Begehrens, des Begehrens nach Bedeutung, von der man weiß, dass sie fehlt." Und, wie sich hinzufügen lässt, nach einer Wirklichkeit, von der man weiss, dass sie nicht existiert. Reinhard Braun Camera Austria 83/2003 |
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