Klaus Schuster
prospect location

Palmen. Meer. Sonnenlicht. Streiflichter. Spiegelungen. Ausblicke. Durchblicke. Sonnensegel. Vorhänge. Nachttischlampen. Menschenleer. Irgendwie ist alles vorhanden, aber nichts am richtigen Platz. Innenräume werden mit Aussenräumen verschränkt, Innen- und Aussenräume durchdringen sich. Multiplizierte, artifizielle Perspektiven, die sich auf keinen subjektiven Standpunkt rückführen lassen, verdichten sich, löschen sich gegenseitig aus in diesen großformatigen, zugleich suggestiven wie befremdenden Bildern - prospect locations.

Klaus Schuster: prospect locationDer Titel ist mehrdeutig wie die Bilder selbst: etwas in Aussicht stellen/haben, eine Vorausschau, zugleich ein Gebiet durchforschen/untersuchen (prospect) - Stelle, Lage, Platz, Standort, Gelände (location).

Diese Bilder stellen uns also etwas in Aussicht, zeigen uns Standorte, durchforschen Gebiete - die es gar nicht gibt, die es offensichtlich gar nicht geben kann und die nicht einmal auf Fragmente "wirklicher" locations, wirklicher Aussichten zurückzugehen scheinen.

Schnell drängen sich Begriffe wie Virtualität und Simulation auf.

"Sind aber diese virtuellen und metaphorischen Räume wirklich Orte? Sind es nicht vielmehr Metaphern, willkürliche Figuren ohne reale Konsistenz, ohne wirkliche Substanz? (...) Wird sich das Virtuelle durch den Menschen besiedeln lassen oder wird es eine Art magischen und unbewohnbaren Mondes, eine Welt neben der Welt sein?" (Philippe Quéau)

Eine Welt neben der Welt? Scheint das nicht ganz präzise die Serie "Prospect Locations" von Klaus Schuster zu kennzeichnen?
Das Virtuelle: ein Raum ohne Ort. Eine location, auf die es eigentlich gar keine Aussicht gibt. - Es gibt aber Bilder davon, besser gesagt, da sich das Repräsentationsverhältnis hier umgekehrt hat, gibt es nur Bilder davon. Insofern läßt sich auch nicht wirklich von Simulation sprechen. Was sollte simuliert werden? Gute Bilder? Bunte Bilder? Unmögliche Bilder? Von letzteren gibt es genug, vor allem in letzter Zeit, vor allem in Österreich. Aber lassen wir das. Sprechen wir also nicht von Simulation. Sprechen wir auch nicht von Dissimulation, denn offensichtlich geht es auch nicht darum, zu verbergen, daß eine Simulation stattfindet.

Reden wir lieber von der Wirklichkeit und darüber, daß Wirklichkeit selbst drauf und dran ist, zu jenem "magischen und unbewohnbaren Mond" zu werden, zu einer "Welt neben der Welt". "Die Illusion, d. h. die Kunst oder die Macht, sich durch die Erfindung von Formen dem Wirklichen zu entziehen, ihm eine andere Szene entgegenzusetzen, auf die andere Seite des Spiegels überzugehen, ein anderes Spiel mit anderen Regeln zu erfinden, ist von jetzt an unmöglich, weil die Bilder in die Dinge eingedrungen sind. Sie sind nicht mehr der Spiegel der Wirklichkeit, sie sind im Kern des Realen verankert und haben es in Hyperrealität verwandelt, in der es für das Bild kein anderes Schicksal mehr gibt als nur noch das Bild." (Jean Baudrillard)

Klaus Schuster: prospect locationNimmt man diese Konfusion von Bild und Abbild ernst, eine Konfusion, die sich in den Arbeiten von Klaus Schuster exemplarisch zu verdichten scheint, dann bewegen wir uns am Schauplatz der Probleme von Repräsentation, ein realer Schauplatz für gar nicht so virtuelle Kämpfe. J. G. Ballard schrieb, "daß wir bereits in einer Welt leben, die von Fiktionen jeder Art regiert wird" - und die es uns beinahe unmöglich macht, jenseits von Repräsentationen so etwas wie Wirklichkeit auszumachen. Welche Aussichten bieten sich dann noch - wenn wir nurmehr von zweideutigen Bildern umgeben sind? Welche Informationen könnten wir anhand von Bildern überhaupt noch gewinnen? Welche Erzählungen daraus konstruieren? "Wie die Sprache können auch die Bilder nicht mehr die Legitimität der 'Normalität' des Sehens garantieren." (Timothy Druckrey) Vielleicht stellt sich dann die Frage gar nicht mehr, ob sich das Virtuelle besiedeln lässt - vielleicht muss man danach fragen, wie weit uns das Virtuelle bereits besiedelt hat.

Und wenn es kein anderes Schicksal für das Bild gibt als nur noch das Bild, dann hat sich für die Serie "Prospect Location" dieses Schicksal erfüllt: willkürliche Figuren ohne reale Konsistenz, ohne wirkliche Substanz, keine Vor-Aussicht, damit aber auch keinerlei utopischer Gehalt, keine Versprechen, keine Voraussagen.

Klaus Schuster: prospect location"Wir malen uns aus, dass diese Trümmer einst ein Ganzes bildeten, dass diese verlassenen Gebäude ursprünglich eine zweckmässige Verwendung fanden, dass diese Zeichen vormals eine Bedeutung besaßen, dass wir organische Körper waren statt Roboter." (Steven Shaviro) Von Sumulation zu sprechen, macht nur Sinn, wenn es noch einen Zeichenbereich jenseits der Simulation gibt. Von Illusion zu sprechen, macht nur Sinn gegenüber einer Wirklichkeit oder Wahrheit. Von Virtualität zu sprechen macht nur Sinn, wenn dem ein Reales gegenübergstellt werden kann. Wirklichkeit, Reales, Wahrheit - alles das proklamiert weiterhin einen Ursprung, ein Dahinter, ein Wesen der Dinge. Sollten wir uns nicht schön langsam damit vertraut machen, dass dieses "Wesen" eine Geschichte hat, die Geschichte einer Konstruktion und Manipulation, damit, dass jeder Ursprung ein Produkt ist, eine Konstruktion? Statt Identität Non-Identität, statt eines Ursprungs Hybridität und Diversität, statt Hegemonien Pluralismen. "Auflösung und Fragmentierung sind positive, affirmative, ja sogar unterhaltsame Zustände."(Steven Shaviro)

Freunden wir uns also mit dem Schicksal der Bilder an ohne in die Fatalität zu verfallen, dass damit auch keine Bedeutungsproduktion mehr möglich wäre. Ein "Wesen" der Dinge zurückzuweisen heisst nicht, ihnen gleichzeitig jede Bedeutung abzusprechen. Dinge und Bedeutungen hören allerdings auf, einer stabilen Ordnung von Zuschreibungen und Referenzen zu folgen und sind immer mehr in ein hochmobiles Feld strategischer Differenzen eingebettet. "Man kann jedoch das Unbehagen angesichts einer kulturellen Transformation verstehen, die jedes Konzept einer Totalität zerstört." (Timothy Druckrey) Ohne Totalität verfügen wir nicht mehr so ohne weiteres über Vorhersagen, Versprechen und Vor-Aussichten. Dafür über mehr Vergnügen am Unterminieren von Überzeugungen, von Authentizität und Wahrheit, am Unterminieren von "eigentlicher" Bedeutung und rechter Ordnung.

In diesen Bildern von Klaus Strobl herrscht keine Ordnung. Und insofern muss man sagen, dass nichts vorhanden und alles am richtigen Platz ist.


Reinhard Braun
Klaus Schuster, W.W.Anger, Ausstellungskatalog, ESC im labor, Graz 2000